Tadschikische und kirgisische Studierende beschäftigten sich unter der Leitung zweier Lektoren der Robert Bosch Stiftung in Osch und Duschanbe mit dem Thema „Identität im urbanen Raum“. Die Studierenden machten ein Foto von ihrer Stadt, das ihren persönlichen Blickwinkel zeigt. Danach schrieben sie Kurzgeschichten zu ihren Fotos. Hier wird der Text von Guldana Tashtemyrova aus Osch in Kirgistan vorgestellt.
Eines Tages lehnte sich ein Investmentbanker aus dem Fenster und beobachtete die vorbeigehenden Leute. Auf der Straße gegenüber saßen Männer und spielten Karten, einer von ihnen verkaufte alte Bücher. Der Banker dachte: „Armer Mann, für ihn ist es so schwer zu leben. Alle wollen glücklich werden, sie wollen eine gute Arbeit, Familie und Kinder haben. Reichtum zu bekommen ist aber schwierig.“ Er beschloss, zu diesem Mann zu gehen. Als er näherkam, sah er, dass nur wenige Passanten ihre kostbare Zeit und Aufmerksamkeit den alten Büchern schenkten. Nur selten wurde ein Buch verkauft. Der Banker fragte: „Wie lange werden Sie heute noch verkaufen?“ Der Mann antwortete, dass er noch ein paar Stunden Karten spielen wolle und dann nach Hause gehen würde. Daraufhin fragte der Banker, warum er nicht noch länger bleiben wird. Der Buchverkäufer sagte, dass ihm das Geld reiche, um die nächsten Tage seine Familie zu versorgen. Wieder fragte der Banker „Aber was tun Sie mit dem Rest des Tages?“ Der Mann erklärte: „Ich kann am Morgen ausschlafen, dann gehe ich ein paar Bücher verkaufen und mit Freunden Karten spielen. Zu Hause kann ich Zeit mit den Kinder verbringen und abends mit meiner Frau Fernsehen oder am Feuer sitzen. Manchmal gehe ich nach der Arbeit im Dorf spazieren und treffe meine Verwandten. Wie Sie sehen – ich habe ein erfülltes Leben.“ Der Banker dachte ein paar Minuten nach. Dann erklärte er dem Buchverkäufer. „Ich kann Ihnen einen Rat geben: Wenn Sie mehr arbeiten, können sie mehr verdienen. Den Gewinn könnten Sie sparen und eine große Bibliothek bauen. Sie werden auch entsprechend verdienen und könnten in die Hauptstadt ziehen und noch eine Bibliothek bauen. So würden sie sehr viel Geld verdienen.“ „Und wie lange wird es dauern?“ fragte der Mann. Der Banker antwortete „So etwa zehn oder 20 Jahre.“ Der Mann fragte „Und was dann?“ Der Banker lachte laut und sagte, dass mit dem Reichtum das Beste kommen würde: „Sie können komplett aufhören zu arbeiten. Sie können mit Freunden Karten spielen und mit den Kindern Zeit verbringen, Sie können mit Ihrer Frau am Feuer sitzen und im Dorf spazieren gehen. Sie können sogar morgens ausschlafen.“
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